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Schwälmer in Amerika

Die Liste der Männer, die es aus Treysa, Ziegenhain und den vielen umliegenden Dörfern in den Unabhängigkeitskrieg zogen, ist überaus lang. Eine Übersicht bietet das Landesgeschichtliche Informationssystem Hessen (HETRINA „Hessische Truppen in Amerika“), in dessen Suchfunktion man beispielsweise einfach einen Orts- oder Familiennamen eingeben kann. Zum Suchbegriff „Treysa“ werden alleine 15 Seiten mit Familiennamen angezeigt, von denen viele heute hier noch existent sind. Welche Geschichte sich hinter dem jeweiligen Namen verbirgt, ist allerdings nur in wenigen Einzelfällen überliefert.

 

Dabei erscheint mir die Frage, wie die Menschen, die in unserer Heimat geboren sind, ihre Reise nach Amerika erlebt haben, erheblich interessanter, als das sich stetig wiederholende Aufrollen der politischen und militärischen Hintergründe des „Revolutionary War“, wie er heute in den USA genannt wird. Hierzu liegen bereits verschiedene Publikationen vor, die einen verhältnismäßig engen Einblick in den Reise- und Kriegsalltag erlauben.

 

Wohl bekanntestes Beispiel ist das Tagebuch des Sockenstrickers Johann Valentin Asteroth, geboren am 12. Oktober 1758 in Treysa. Was seinen Bericht so besonders macht ist der Umstand, dass auch er aus dem Unabhängigkeitskrieg zurückgekehrt ist und sein Leben in Treysa fortgesetzt hat. Zugegeben, seine Aufzeichnungen sind nicht immer einfach zu lesen, schreibt er doch nicht nur die Namen der amerikanischen Orte seines Aufenthalts „so, wie man sie spricht“. Häufig wechselt auch seine Schreibweise derselben Begriffe innerhalb einer Tagebuchseite, bei denen er zudem seine Schwälmer Herkunft kaum verhehlen kann.

 

Auch seine Ereignisdarstellungen sind gelegentlich eher schwierig nachzuvollziehen. Aus diesem Grund wurde die bisher letzte Publikation (herausgegeben 1992 vom Stadtgeschichtlichen Arbeitskreis e.V. Treysa) durch klarer strukturierte Auszüge aus den Aufzeichnungen des Feldpredigers Heinrich Kümmel (Henrich Kümmell) ergänzt. So gelingt es, den Zusammenhang seiner Darstellungen und die dahinter stehenden militärischen Geschehnisse besser einzuordnen.

 

 

Johann Valentin Asteroth

 

Asteroth wurde 1776 in den britischen Sold übernommen. Am 7. Mai desselben Jahres verlässt seine Einheit unter „wehmütigem Geschrey“ vieler Leute Treysa und nimmt den Marsch über Wabern und Gudensberg auf. Der weitere Weg führt über Cassel, dann durch die Hildesheimer Gegend, vorbei am Steinhuder Meer, Bückeburg und Verden, bis das Regiment schließlich am 30. Mai das Wurstener Land (zwischen Bremerhaven und Cuxhaven) erreicht.

 

Die Einschiffung erfolgt am 3. Juni 1776 in Ritzebüttel, heute regional zur Gemeinde Cuxhaven gehörend. Erst am 12. Juni passiert das Schiff Helgoland. Weitere acht Tage später wird vor Portsmouth/England Anker geworfen. Am 28. Juni wird die Reise fortgesetzt bis das Schiff am 6.Juli im Hafen von Plymouth einläuft. 

 

Hier wird erneut pausiert, bis die Schiffe mit den Hessischen Regimentern am 20. Juli zur Atlantiküberfahrt aufbrechen - eine Reise, die drei Monate dauern soll. Schließlich wird am 20. Oktober 1776 vor New York erneut Anker geworfen.

 

Asteroth berichtet von der Überfahrt, dass es zu Erkrankungen und Todesfällen gekommen sei. Die einseitige Mangelernährung führt zu Skorbut, die räumliche Enge beschleunigt die Ausbreitung von Krätze und „sonstigen Krankheiten“. Auf See seien Tote in Tücher eingenäht und mit Steinen beschwert dem Meer übergeben worden.

 

Nach seiner Ankunft in Amerika wird Asteroth dem 24jährigen Feldprediger Henrich Kümmell als Gehilfe unterstellt. In dieser Funktion dient Asteroth offiziell im zweiten Glied in der Compagnie des Obristenleutnants Kurtze, 23. Garnison Regiment unter dem Kommando von Oberst Johann Christoph von Huyn. Sein Alter wird zu dieser Zeit mit 18 Jahren angegeben (Asteroth S.78 f.).

 

Seine Einheit nimmt durchaus an Kampfhandlungen gegen die sog. amerikanischen „Rebellen“ teil, ob er selbst dabei aktiv gekämpft hat, wird beim Studium seiner Aufzeichnungen nicht abschließend klar. Aufgrund seiner Darstellungen darf dies jedoch angenommen werden, da er relativ authentisch von Gefechten berichtet, in denen sein Regiment erheblich unter Druck der Rebellen gerät und eine verhältnismäßig hohe Zahl von Verwundeten und Gefallenen zu beklagen hat.

 

Asteroth schildert in seinem Tagebuch u.a. den groben Verlauf eines Gefechtes bei Bristol Ferry (Rhode Island) im  August 1778. Rhode Island war im Mai zuvor von Britischen und Hessischen Soldaten besetzt, geplündert und verschiedene Gebäude teilweise zerstört worden, was bei den amerikanischen Rebellen entsprechend militärische Gegenreaktionen auslöste. 

 

Am 29. August 1778 treffen die Rebellen in einer Rückzugsbewegung auf Britische, Ansbacher und Hessische Truppen. Das Regiment Huyn erhält von General Loßberg den Befehl, die eigenen Schanzen zu überwinden und einen Sturmangriff auf die Rebellen durchzuführen. 

 

Doch diese scheinen das Manöver vorausgesehen zu haben. Bei Herankommen in Schussweite eröffnen die Rebellen das Feuer auf die anstürmenden Soldaten und schließen sie in einer Zangenbewegung ein. Asteroth schreibt, „von beyden seiten kammen die Feinte und umringten unser Regement, daß es schiene als wan kein Man sollte davon kommen, aber Gott half  und retirierten wieder. Plessirt und Tod v Reg 83 Man.“ ([ Verwundete und Tote des Regiments: 83 Mann] Asteroth Seite 43). Bild oben rechts: Hessisches Grenadierregiment im Gefecht

 

An anderer Stelle berichtet er, die Rebellen hätten von außen direkt in das Regimentslager geschossen, was den Schluss zulässt, dass auch hierauf entsprechend und unmittelbar reagiert worden ist. Es ist nicht anzunehmen, dass sich Asteroth in derartigen Situationen einer militärischen Verteidigungshandlung entzieht.

                                                                                                                                                                                                                           Vordergründig jedoch besteht Asteroths Aufgabe nicht in der Bekämpfung von Rebellen-Milizen oder Kräften der Kontinentalarmee, sondern in der Unterstützung des Feldpredigers Kümmell bei der Vorbereitung und Durchführung von (Feld-) Gottesdiensten. Dieser Umstand kann dazu beigetragen haben, dass er ggf. eine gewisse Besserstellung erfahren  hat und ohne wesentliche, gesundheitliche Einschränkungen zurück nachhause kommt.

                                                                                                                                                   

Im Sommer 1783 – nach immerhin 7 Jahren Einsatz - wird die Einheit von Asteroth zur Rückreise über den Atlantik  eingeschifft, am 8. Oktober desselben Jahres geht das Schiff der Hessischen Soldaten im Hafen von Bremerlehe vor Anker. Zwei Tage später beginnt der Marsch in die Heimat. Am 5. November erreicht Valentin Asteroth Treysa und wird beurlaubt. Seinen Erlaßschein (Entlassungsurkunde) erhält er am 16. Februar 1784.

 

In den Folgejahren arbeitet sich Valentin Asteroth in seiner Heimatstadt zum Sockenstricker-Meister hoch. Später verlobt er sich mit Anna Katharina Förster, die Eheschließung erfolgt am 23. November 1786 (Asteroth S.68 ff.) Aus der Ehe gehen insgesamt 10 Kinder hervor, von denen sieben im Kindesalter an verschiedenen Erkrankungen versterben, was durchaus der üblichen Kindersterblichkeit dieser Zeit entsprechen dürfte. Valentin Asteroth stirbt am 8. Oktober 1804 im Alter von 46 Jahren.

 

Philipp Jakob Hildebrandt

 

Neben dem Tagebuch des Johann Valentin Asteroth wurden in jüngerer Zeit auch die Aufzeichnungen des Jakob Philipp Hildebrandt publiziert. Die wissenschaftliche Bearbeitung erfolgte von Holger Th. Gräf (Hess. Landesamt für geschichtl. Landeskunde, Universität Marburg/Lahn) und Lena Haunert, unter Mitarbeit von Stefanie Funck.

 

Auch im Rahmen dieser Publikation war es erforderlich, Beziehungen und Sachverhalte wesentlich zu ergänzen, da Hildebrandt in seinem Tagebuch große Fertigkeiten beweist, ellenlange Sätze kompliziert zu verschachteln. Zwar leidet das Verständnis unter den originalen Tagebuchauszügen, Hildebrandt hatte jedoch sicher nicht im Sinn, seine Erinnerungen einem verwöhnten Leserkreis des 21. Jahrhunderts zugänglich zu machen. Bild links: Im Regimentslager: Auch einige Frauen begleiteten "ihre Soldaten" nach Amerika

 

Philipp Jakob Hildebrandt wird am 15. September 1733 in Ziegenhain als Sohn des Johann Christian Hildebrandt und der Catharina Elisabeth (geb. Herlen) geboren. Aus den Aufzeichnungen lässt sich schließen, dass er ein nicht näher bekanntes Studium absolviert hat. Im Wege seiner militärischen Karriere dient er in Schleswig-Holsteinischen, Hessen-Casselschen und Hessen-Homburgschen Regimentern, bis er 1777 in Hessen-Hanauische Dienste tritt.


1767 heiratet er Maria Henriette (geb. Mickwitz). Aus der Ehe gehen vier Kinder hervor, von denen eine Tochter im Alter von einem Jahr verstirbt. Wenige Tage nach der Geburt seines letzten Kindes (Karoline, *Januar 1777) tritt Hildebrandt als Leutnant in den Hessen-Hanauischen Dienst und bricht mit der Jäger-Kompanie Kornrumpff am 7. März nach Nordamerika auf.

 

Hildebrandt dürfte den vorliegen Unterlagen zu Folge als leidlich strebsam gelten. Bereits am 11. November 1777 wird er zum Stabskapitän ernannt. Seine Kriegseinsätze sind dagegen sehr überschaubar. Den wesentlichen Teil seines Nordamerika-Aufenthalts verbringt er in Kanada (Quebec u.a.) bzw. der Grenzregion zum Gebiet des „Staats“ New York.   Im selben Jahr nimmt er  an der Expedition von Barry St.Leger in das heutige  Gebiet der USA teil.

 

Sehr interessant sind in diesem Zusammenhang seine Beschreibungen, sowohl hinsichtlich der beschwerlichen Bootsfahrten und Märsche, als auch über die „Wilden“ und sonstigen „Canadienser“. Hildebrandt schildert Land und Leute und vergleicht sie gelegentlich mit den Zuständen in der Heimat: „Man findet nicht allhier wie bei unß in Teudschland – welches zur Schande meiner Landsleute anmercke – daß eingerißene Übell, daß sich Alt und Jung auf Hochzeyten, Kirchweyen oder ihren sonstigen Lustbarkeiten in die Haare fallen und herumschmeißen (…) und es gereicht unß Teudschen ebenwohl zur Schande, da wir so viel Aufwand machen, um unnßre Kinder erziehen zu laßen (…)“ (Hildebrandt, S. 108 f.)

 

Im Rahmen der Durchführung der St.Leger-Expedition beteiligt sich Hildebrandt ab dem 3. August 1777 mit etwa 100 Hessisch–Hanauischen Jägern an der Belagerung des Fort Stanwix. Zu den Belagerern zählen zudem noch Einheiten regulärer britischer Soldaten, Kanadier, Loyalisten (sog. Königstreue), sowie etwa 800 bis 1000 verbündete Indianer. Das Fort ist mit etwa 550 Rebellen unter dem Kommando des Oberst der Kontinentalarmee Peter Gansevoort besetzt.

 

Die rund 21tägige Belagerung als solches erweist sich als Fehlschlag, der nach einem Täuschungsmanöver der Rebellen in einem Abzug der Belagerer endet. Hildebrandt indessen äußert sich kritisch über den Umgang der Indianer mit gefangenen Rebellen, die ihre Gegner brutal skalpieren. Diese Skalpe werden als Trophäen an die Leibgürtel gehängt und erzeugen u.a. wegen des „herabtriefenden Fetts“ einen scheußlichen Anblick (Hildebrandt, Einleitung XVII).

 

Nach dem Ende der Expedition fristet Hildebrandt ein vergleichsweise ruhiges Dasein in Kanada. Als im Sommer 1783 der Tag seiner Rückreise nach Deutschland beginnt, bestehen bereits Zweifel, dass er diese überlebt. Er leidet zu diesem Zeitpunkt an „Schwindsucht“ (Tuberkulose). Seine Familie wird er nie wiedersehen.

Philipp Jakob Hildebrandt verstirbt am 29. August 1783 auf hoher See. Sein Leichnam wird auf der Höhe von Neufundland dem Meer übergeben (Hildebrandt, Einleitung XIV). Bild oben rechts: die Hessen kapitulieren vor George Washington nach dem Überfall bei Trenton am 26.12.1776. Der Film “The Crossing” (Link zu YouTube) behandelt das Thema. Bild © gemeinfrei




Fortsetzung