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Aus der Schwalm in die neue Welt



Die Geschichte der Schwalm und der hier lebenden Menschen ist eng verbunden mit einem früheren, weltpolitischen Ereignis: dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Die Ursache und der Verlauf des Aufstands der 13 britischen Kolonien gegen das englische Königshaus sei hier nur kurz umrissen, da er an anderer Stelle bereits ausführlich beschrieben ist:

 

Seit dem Ende des Siebenjährigen Krieges – in dessen Rahmen auch die Festung Ziegenhain mehrfach belagert wurde – nahmen die Spannungen zwischen der englischen Krone und ihren nordamerikanischen Kolonien stetig zu.Hintergrund waren unter anderem die wirtschaftlichen Differenzen, als auch der Umstand, dass Großbritannien mit dem Ende des britisch-französischen Krieges 1763 die territoriale Vorherrschaft in Nordamerika erlangte.


Die daraus entstandenen Kriegskosten hatten zu einer erheblichen Schuldenlast geführt, zu dessen Tilgung das britische Parlament nun seine amerikanischen Kolonien heranzuziehen gedachte. Gestalt nahm diese Absicht u.a. in der Erlassung neuer Handels- und Zollgesetze an, die derart zum Vorteil und Gewinn Großbritanniens ausgestaltet wurden, dass sie den aufstrebenden Kolonien förmlich „die Luft” abdrückte.

 

Darüber hinaus griff Großbritannien überaus stringent in die Verwaltung der Kolonien ein, womit deren bis dahin verbriefte Autonomie weitestgehend ausgehebelt wurde. Doch diese Vorgänge wollten die Kolonisten keineswegs auf sich sitzen lassen. Als Zeichen des Protests und der Auflehnung  vernichteten als „Indianer“ verkleidete Mitglieder des Geheimbundes „Sons of Liberty“ am 16. Dezember 1773   im Bostoner Hafen eine Schiffsladung Tee, die nach britischem Recht hätte verzollt werden müssen. Dieses Ereignis – heute noch als „Boston Tea Party“ bekannt - leitete die offene Rebellion gegen Großbritannien ein.

 

Als im Mai 1775 der amerikanische Kontinentalkongress in Philadelphia zusammentrat, wurde die Gründung einer eigenständigen Kontinentalarmee ausgerufen, die sich im Wesentlichen aus den freiwilligen Milizverbänden der Kolonien rekrutierte. Zum Oberbefehlshaber wurde George Washington, dem späteren ersten Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, ernannt.

 

Bereits im weiteren Verlauf des Jahres 1775 kam es zu offenen Kriegshandlungen, am 4. Juli 1776 erklärten sich die dreizehn Kolonien sodann für unabhängig von der britischen Krone. König George III.  von England war jedoch keineswegs bereit, diesen Umstand zu akzeptieren. „Unglücklicherweise“ verfügte er zu diesem Zeitpunkt nicht über ausreichend militärische Truppen, um den Aufstand eigenständig niederzuschlagen (Quelle: Hildebrandt, Einleitung, Seite XV und Asteroth, Seite 9).

 

Was lag also näher, als für diese Aufgabe Truppen fremder Heere anzumieten? Die bezahlte Überlassung von ausländischen Truppenkontingenten für eigene militärische Zwecke war zunächst weitgehend gängige Praxis im 18. Jahrhundert. Dabei konnte es durchaus vorkommen, dass „Teutsche“ und sogar hessische Soldaten unterschiedlicher Fürstenhäuser in Kriegshandlungen gegeneinander antreten mussten, weil sie an jeweils verfeindete Kriegsparteien „vermietet“ wurden.   

 

Die Verbindung zwischen dem englischen Königshaus nach Hessen war damals wie heute kürzer, als man zunächst vermuten mag, handelte es sich doch bei Landgraf Friedrich II. von Hessen-Cassel um den Schwager des britischen Königs. Nebenbei, König Charles III. von England ist ein Nachfahre des Hessischen Hochadels.

 

Hessen schien bereits damals eine gewisse Stellung als Transitland genossen zu haben, was eine gewisse militärische Wehrhaftigkeit erforderlich machte. Denn wer das Land  durchquerte war nicht grundsätzlich friedlich gesonnen. Die Vorhaltung einer angemessenen Streitkraft schien also durchaus notwendig.

 

Wer also hat, gibt gerne – wenn auch nur gegen klingende, bare Münze. So schloss Friedrich II. von Hessen am 15. Januar 1776 mit seinem Schwager George III. von Großbritannien einen Subsidienvertrag bzgl. der Überlassung von etwa 12.000 Soldaten. Bei einem „Subsidienvertrag“ handelt es sich frei übersetzt um einen Vertrag zur Überlassung von Hilfstruppen (lat. subsidium, Plural subsidia „Hilfsmittel“).

 

Dennoch bediente sich König George III. nicht alleine in Hessen-Cassel. Auch das Herzogtum Nassau, die Fürstentümer Hessen-Hanau, Waldeck, Ansbach-Bayreuth, Anhalt-Zerbst und Braunschweig-Wolfenbüttel steuerten ihren Anteil bei, so dass das Kontingent auf insgesamt rund 30.000 Soldaten zum Preis von etwa 8 Millionen Pfund Sterling anstieg. Verwundungen, Todesfälle, etc. wurden extra bezahlt (Quelle).  Bild oben rechts: Friedrich II. Hessen-Cassel Bild © gemeinfrei

 

Doch woher so viele möglichst junge, gesunde und wehrfähige Männer nehmen? Hierzu existieren allerlei Darstellungen, man habe potentielle Rekruten unter Zuhilfenahme verschiedener Listen und großer Versprechungen für den Dienst in den Kolonien angeworben. Der spätere Dichter Johann Gottfried Seume berichtete sogar, er sei auf Wanderschaft in Ziegenhain aufgegriffen und gegen seinen Willen zum Soldat gemacht worden. Sein Weg führte ihn von Ziegenhain nach Halifax/Canada, ohne jedoch an Kampfhandlungen beteiligt gewesen zu sein.

 

Diese Erzählungen mögen grundsätzlich durchaus Substanz haben, besonders vor dem Hintergrund, dass mit Fortschreiten des Unabhängigkeitskrieg auch ein personeller Nachschub erforderlich wurde. Aufzeichnungen und Dokumente aus dem 18. Jahrhundert sprechen aber auch noch eine andere Sprache.

 

So ist bei einem Blick in frühere Kirchenbücher auffällig, dass häufig die Zweit- und Drittgeborenen ihren Hof verlassen haben, um das Glück in Amerika zu suchen. Diese jungen Männer hatten oft keine  Chance, den elterlichen Bauernhof übereignet zu bekommen, da dieser grundsätzlich dem Erstgeborenen zufiel. Zudem war das bäuerliche Leben durchaus von harter Arbeit, Entbehrungen und teilweise bitterer Armut geprägt.

 

Die Aussichten auf ein regelmäßiges Einkommen, auf ein Stück Land und möglicherweise eine adrette, junge Frau in den englischen Kolonien mögen ihren Beitrag zum letzten Entschluss  geleistet haben, sich als Soldat des Landgrafen einzuschreiben. Die Wahrscheinlichkeit, bei Kampfhandlungen getötet zu werden war jedenfalls verhältnismäßig gering, wie die Auswertung heute bekannter Zahlen beweist.

 

Nichtsdestotrotz kehrten einige dieser Männer in die Heimat zurück, wie beispielsweise ein Eintrag im Kirchenbuch von Neuenstein-Saasen (Knüll) im Landeskirchlichen Archiv Kassel verrät. Dass sich deren Linien direkter Nachfahren in einzelnen Fällen sowohl in Amerika als auch in Hessen fortgesetzt haben, mag man schmunzelnd zur Kenntnis nehmen. Mit ein wenig Phantasie lässt sich beinahe der Grund für die Rückkehr in die Heimat erahnen.

 

Bilder unten: Blick auf den Paradeplatz Ziegenhain. Im Hintergrund das Landgrafenschloss mit der Schlosskirche. Hier wurden

hessische Truppen für den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg ausgebildet. Bild Kartenskizze: Grundriss der Festung in

ursprünglichem Zustand © gemeinfrei


 



                                                                                                                                                                                                      



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