Andere Einsätze der an der Bombardierung beteiligten Einheiten
Exkurs: „Napalm“ zählt auch heute noch zu den zerstörerischsten konventionellen Kampfmitteln. In das öffentliche Bewusstsein rückten Napalm-Brandbomben im Wesentlichen mit dem Vietnam-Krieg, nicht zuletzt deshalb, weil Filmaufnahmen von amerikanischen Bombenabwürfen mit den Fernsehnachrichten nun zeitnah in jedes Wohnzimmer gelangten.
Weniger bekannt ist, dass Napalm seinen Ursprung bereits im 2. Weltkrieg hatte und im Zuge von amerikanischen Kampfeinsätzen schon im Jahr 1943 zum Einsatz kam. So wurde beispielsweise am 9. Oktober 1943 das Montagewerk des Flugzeugherstellers Focke-Wulf in Marienburg (südl. Danzig) von Napalm-Bomben in Schutt und Asche gelegt.
Bei Napalm handelt es sich um eine zäh fliessende, klebrige und hoch entzündliche Masse auf Benzin-Basis, die mit einer Verbrennungstemperatur zwischen 800 und 1200° Celsius hochgradig destruktiv auf organisches und brennbares an-organisches Material wirkt.
In welcher Art das Kampfmittel Eingang in die Planung von Luftangriffen auf Wehrmachtseinheiten fand, zeigt der taktische Einsatzbericht der Operation „Venerbale“, an der sich auch Flugzeugbesatzungen beteiligten, die kurz zuvor den Einsatzflugplatz Ziegenhain bombardiert hatten:
Operation „Venerable“
Als Teil des deutschen Plans, den Alliierten den Zugang zu den Häfen bereits befreiter Länder zu verweigern, hielten sich auch lange nach der Vertreibung von Wehrmachtsverbänden aus Frankreich noch einige militärische Widerstandsnester in der Mündung des Gironde-Flusses, dem Eingang zum Hafen Bordeaux. Im Dezember 1944 wurde eine alliierte Boden-Luft-Operation unter dem Namen „Independence“ konzipiert, die das Ziel hatte, diese verbliebenen Wehrmachtsverbände zu eliminieren.
Drei kleinere Operationen der 8th US Airforce sollten dabei den Küsten-Batterien in Pointe de la Coubre gelten. Ein größerer Angriff des Royal Airforce Bomber Command gegen Royan – beides im Gironde-Gebiet – wurde in den Angriffsplan integriert. Am 9. Januar 1945 wurde dieser Plan zunächst vorübergehend zurückgestellt, Anfang April 1945 wurde er reaktiviert, diesmal jedoch unter dem Code-Namen „Venerable“.
Die Operation „Venerable“ beabsichtigte, die Kräfte der „First U.S. Tactical Air Force“, der „Eighth Air Force“, der „Sixth Army Group“ (einschließlich einzelner französischer Truppenverbände), sowie einiger französischer Marineverbände zu bündeln. Ziel der alliierten Luftwaffe sollte die Bekämpfung deutscher Stützpunkte und Artilleriestellungen sein, die durch Bodenstreitkräfte vor, während und nach dem vereinbarten Angriffszeitpunkt ausgewählt wurden. Die Wehrmachtsverbände sollten dabei zunächst durch Luftangriffe geschwächt und schließlich durch vorrückende alliierte Bodentruppen geschlagen werden.
Auftakt sollten am 13. April 1945 Luftangriffe der „Western French Air Force“ bilden, gefolgt von Einsätzen der „Eighth US Air Force“ und „42nd Bomb Wing“ am 14. April und sich danach anschließende Bodenangriffe (wetterbedingt vor bzw. ab dem 15. April 1945).
Am 13. April wurde die Entscheidung getroffen, die erste Phase der Operation „Venerable“ zu beginnen. Die taktische „16 Uhr-Konferenz“ legte fest, dass die gesamte „2nd Air Divison“ und Teile der „3rd Air Division“ in die Operation einbezogen würden. Diese Einheiten sollten ursprünglich Kommunikations-Ziele nördlich Regensburg angreifen, der Einsatz wurde jedoch wetterbedingt abgesagt, so dass sie nun für „Venerable“ zur Verfügung standen.Aufnahme der Operation "Venerable"
Aufgrund der fortgeschrittenen Uhrzeit und dem Umstand, dass die nun umgeplanten Luftverbände nicht rechtzeitig zum „Venerable-Einsatz“ vorbereitet werden konnten, kam es zur planmäßigen Aufteilung des Luftangriffes in zwei zeitlich verzögerte Angriffswellen.
In der Absicht (Originaltext „Erwägung“) einer kontinuierlichen Fortführung der Luftangriffe ab dem 15. April, wurde der 3rd Air Division der Befehl erteilt, zu ihrer ersten Angriffswelle diejenigen ihrer Bomber heranzuziehen, die am Folgetag für den Abwurf von Napalm-Brandbomben auf die deutschen Stellungen vorgesehen waren.
Original-Text: „Contemplating a continuation of attacks on „Venerable“ targets on 15 april, 3rd. Air Division was requested to draw their first wave force from those units assigned to drop Napalm fire bombs on the following day; this was to insure adequate time for loading this type of incendiary in its initial adaptation to heavy bomber use.“ (Quelle: siehe unten)
Im Rahmen der Operation „Venerable“ nahmen an der 2. Angriffswelle u.a. die selben Flugzeuge (B-17) und Bomberbesatzungen der 3rd Air Division teil, die am 24. März 1945 den Einsatzflugplatz Ziegenhain bombardiert haben. Hier sind namentlich insbesondere die 100th und die 390th Bombardment Group zu nennen, die mit insgesamt 8 Gruppen (Squads) im Gebiet Royan deutsche Stützpunkte (155mm Artillerie-Stellungen) und schwere Luftabwehrbatterien angriffen.
Der Abwurf der insgesamt 40 Napalm-Brandbomben (incendiary bombs) mit einem Einzelgewicht von jeweils 70 Pfund* durch genau diese Einheiten lässt sich aus dem vorliegenden taktischen Einsatzbericht jedoch nicht herleiten. Der Abwurf ist viel mehr den Lufteinheiten der 2nd Air Division zuzuschreiben.
Ist der Einsatzflugplatz Ziegenhain nur knapp dem Einsatz von Napalm-Bomben entgangen?
Obwohl sich an der Operation „Venerable“ Bomberbesatzungen beteiligen mussten, die drei Wochen zuvor den Einsatzflugplatz Ziegenhain bombardiert haben, spricht nach den derzeitigen Indizien nichts dafür, dass Napalm auch hier hätte zum Einsatz kommen sollen.
Zunächst bleibt festzuhalten: der Angriff vom 24. März 1945 galt alleine dem Einsatzflugplatz, der insgesamt nur schwach gegen feindliche Flugzeuge gesichert war. Die nahezu ringförmig um das Flugfeld angelegten Verteidigungsstellungen der 2cm-FLAK-Geschütze waren keine Gefahr für hochfliegende Bomberverbände.
Die vermutlich eher geringere Sprengwirkung von Napalm-Brandbomben wäre zudem in ihrer Wirksamkeit ungeeignet, um einzelne leichte Flakstellungen auszuschalten. Wenn überhaupt hätte ein Einsatz von Napalm aus militärischer Sicht nur dort Sinn gemacht, wo eine entsprechende Brandwirkung taktischen Erfolg verspricht.
Dies wäre lediglich im Bereich nordöstlich des Flugplatzes anzunehmen, da sich dort die Mannschaftsbaracken befanden. Allerdings kam es hier während des Angriffs zu keinem nennenswerten Bombentreffer.
Nach Durchsicht des taktischen Einsatzberichtes vom 24.3.1945 zum Luftangriff auf den Einsatzflugplatz Ziegenhain lässt sich zudem kein Hinweis darauf erkennen, dass es in einer besonderen Absicht der US Air Force lag, die Zivilbevölkerung sowie zivile Liegenschaften der angrenzenden Dörfer Rörshain, Michelsberg oder Allendorf/Landsburg zu treffen. Vielmehr darf unterstellt werden, dass dies als zu erwartender Kollateralschaden billigend in Kauf genommen wurde.
Eine gezielte Bombardierung der genannten Ortschaften wäre aus militärischer Sicht auch weitestgehend sinnlos gewesen. Zivile Städte wurden im 2. Weltkrieg u.a. dann bombardiert, wenn dort hohe Truppenkonzentrationen vorhanden oder kriegswichtige Industrie angesiedelt war. Die Angriffe auf Kassel, Schweinfurt, etc. dokumentieren dies eindrücklich. Eine wesentliche Rolle spielte (neben der Absicht der völligen Demoralisierung der Bevölkerung) auch die Frage der Brennbarkeit der Städte:
Je mehr Holz- oder Fachwerkhäuser auf engem Raum, je mehr Rüstungsindustrie im Stadtgebiet, desto wahrscheinlicher war ein zu erwartender Luftangriff. Hier konnten mit vergleichsweise wenigen Brandbomben ganze Feuerstürme mit hohem Verlust an Menschenleben und verheerenden Sachschaden verursacht werden.
Die wesentlichen, genannten Merkmale treffen nicht auf die den Einsatzflugplatz Ziegenhain und die nahegelegenen Dörfer zu. Daher bleibt nur festzuhalten, dass die Bombentreffer in der Ortslage Rörshain und Allendorf letztlich auf Zielungenauigkeiten basieren dürften. Auch lässt sich nicht nachweisen, dass die Bahnlinie Treysa – Kassel an dieser Stelle zu einem bekämpfungswürdigen Ziel erklärt worden war.
Ungünstige Wetterbedingungen kommen für die erheblichen Zielabweichungen nicht in Frage, da der 24. März 1945 beste Einsatzbedingungen bot. Ursache könnte dagegen die an diesem Tag vorliegende, erheblichen Übermüdung der Bomberbesatzungen sein – so, wie sie es teilweise selbst in ihren Tagebüchern vermerken.
Zugegeben, den Opfern und ihren Hinterbliebenen nutzt diese Erkenntnis wenig. Allerdings erscheint eine rückblickende, moralische Bewertung mehr als 70 Jahre nach Kriegsende überaus fragwürdig, weshalb sie hier auch nicht vorgenommen wird. Subjektive, moralisch gehaltene Betrachtungen sind letztlich immer auch eine Frage nach der Schuld und weniger nach den Kausalitäten, die in letzter Konsequenz zum Tod vieler Millionen Menschen während des zweiten Weltkriegs in ganz Europa geführt haben.
Sicher lässt sich rückblickend auf die kriegerischen Ereignisse der Mitte des 20. Jahrhunderts an geeigneter Stelle explizite Schuld zuweisen, in anderen Fällen gelingt dies nicht eindeutig. Fakt ist: völlig sinnloses Sterben gab es auf allen Seiten der kriegsführenden Parteien - zumindest das verbindet die zahllosen Opfer dieses Krieges.
*1 Pfund = 0,45 kgAnmerkung: meine weiteren Studien zum Aspekt der Bombardierung ziviler Ziele zeichnen im Jahr 2024 ein anderes Bild, als es oben dargestellt ist. So beschreibt der Historiker Jörg Friedrich in seinem Buch "Der Brand - Deutschland im Bombenkrieg 1940 - 1945" ISBN: 9783549071656 ), dass amerikanische Bomberverbände in dieser letzten Phase des Krieges durchaus in der Lage gewesen seien, exakte Bombenabwürfe unter Einsatzbedingungen durchzuführen. Im Weiteren sei es zu gezielten Angriffen auf zivile Ziele gekommen, weil man über viel Rest-"Material" verfügte und auch einfach deshalb, "weil man es konnte". Auch Tieffliegerangriffe seien gezielt durchgeführt worden, um Zivilsten und zivile Infrastruktur zu zerstören. Die amerikanischen Piloten bezeichneten dies als "Strafing". Folgt man dieser Argumentation, wären die Opfer in Rörshain und die Zerstörung dort und in Allendorf/Landsburg also keine Kollateralschäden, sondern willentlich und absichtlich herbeigeführt worden.
In diesem interessanten Video zeigt Joachim Hofmann (Loshausen), wie das Gelände rund um den ehemaligen Einsatzflugplatz Ziegenhain heute aussieht. Mehr spannende Videos von ihm gibt es auf seinem YouTube-Kanal AdventureFocus Abenteuer & Outdoor
Das Ende des Einsatzflugplatzes
Von der Bombardierung hat sich der Einsatzflughafen Ziegenhain nach dem massiven Luftangriff bis Ende des Krieges bzw. dem Eintreffen der amerikanischen Bodentruppen nicht mehr erholt haben. Nur eine knappe Woche später, am Karfreitag, dem 30. März 1945 nahm die 6. Panzerdivision der US-Armee das Gebiet der Schwalm ohne nennenswerten Widerstand ein. Auch das STALAG IXa in Trutzhain wurde befreit.
Wie bereits ausgeführt, wurden die Bunkeranlagen nicht gesprengt, sondern einer weiteren, militärischen Nutzung zugeführt. Im Rahmen des Zusammenbruchs gesellschaftliche und militärischer Sturkturen und der Auflösung der Liegenschaften hatten sich die Menschen der Umgebung mit Bekleidung und Material aus dem auf dem Flugplatzgelände befindlichen Fundus eingedeckt. So wanderte beispielsweise ein Flugzeugzusatztank aus Aluminium auch in einen landwirtschaftlichen Betrieb nach Leimsfeld, wo er in Hälften aufgeschnitten als Futtertrog diente.
Anwohnerinnen berichten in einem Gespräch am 26.3.2016, dass es bis in die 1950er Jahre gelegentlich bei der Gartenbearbeitung zu spontanen Rauchentwicklungen kam. Anzunehmen ist eine unbeabsichtigte Freilegung von Phosphor, der Bestandteil der abgeworfenen Bomben und Zünder gewesen sein könnte. Dieser chemische Stoff neigt bei Sauerstoffkontakt zur Selbstentzündung, bei Berührung mit der Haut kann dies schwerste Verbrennungen zur Folge haben. Zudem soll es im Garten eines Hauses in der Wolfshain-Siedlung in den 1960er Jahren zur Explosion eines Blindgängers gekommen sein, die Anwohner sind nur mit viel Glück von schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen verschont geblieben.
Von dem eigentlichen Flugfeld ist heute nichts mehr wesentliches zu erkennen, das an einen Einsatzflugplatz erinnert. Felder und Wiesen bestimmen das Bild, Kühe grasen friedlich auf den Gräbern ihrer Ahnen. Die heute noch vorhandenen und sehr auffälligen Bunkeranlagen sind sowohl Relikte des zweiten Weltkrieges als auch “Kalten Krieges”, als in Rörshain nukleare Gefechtsköpfe, u.a. des in Schwalmstadt-Treysa stationierten Feld-Artillerie-Bataillons 21 gelagert wurden. Öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr das Gelände durch wiederkehrende, politisch motivierte Protestaktionen und Glücksritter auf der Suche nach dem verschwundenen Bernsteinzimmer.
Zwar steht das ehemalige Haus des Flugplatzkommandanten noch, dies wird allerdings seit Jahrzehnten zivil genutzt. Einzig die umliegenden Wälder sind gespickt mit zahlreichen Bombenkratern und einigen, wenigen Splittergräben. Die heute noch auffällig sichtbaren zahlreichen Detonations- und (deutlich kleineren) Aufschlagtrichter lassen es fraglich erscheinen, ob diese Stellen bisher vollständig von einem Kampfmittelbeseitigungsdienst abgearbeitet werden konnten, daher ist rund um den ehemaligen Flugplatz nach wie vor von einer latenten Blindgängergefahr auszugehen.
Obwohl Generationen von Metall-Sondengängern ihr Glück illegalerweise in den oben genannten Bereichen bereits versucht haben, wird von einer Nachahmung dringend abgeraten. Blindgänger - insbesondere mit chemisch-mechanischen Langzeitzündern - werden mit fortschreitendem Alter zunehmend gefährlich, es kann ohne äußere Einwirkung zur Explosion kommen. Das wirksamste Mittel gegen den Verlust des eigenen Lebens durch Weltkriegsaltlasten besteht darin, solchen bekannten Gebieten fernzubleiben.
Unten: Die Rörshainer Kirche wurde am 24. März 1945 zerstört. Drei Jahre später begann ihr Wiederaufbau
Bild unten: auf dem alten Einsatzflugplatz grasen heute friedlich Kühe. Nichts erinnert mehr an
dieser Stelle an seine frühere Geschichte
Anmerkungen:
Die hier gemachten Angaben wurden sorgfältig recherchiert und aus dem Englischen übersetzt, eine Garantie für die Richtigkeit kann jedoch nicht übernommen werden. Angesichts der vielen Hinweise, die im Verlauf der Entstehung dieser Internetseite von verschiedenen Seiten gegeben wurden, darf die bisherige Darstellung der Geschichte des Einsatzflugplatzes Ziegenhain nicht als abschließend betrachtet werden.
Ganz besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang Herrn Horst Jeckel und Herrn Werner Schwalm für die Zurverfügungstellung diverser zeitgeschichtlicher Dokumente, die in die Fortschreibung dieser Seite eingeflossen sind. Des Weiteren gilt mein besonderer Dank Herrn Georg Rockensüß (verstorben März 2023), der mir seine Erlebnisse vom Tag des Luftangriffs auf den Einsatzflugplatz Ziegenhain und die Zeit danach sehr eindrücklich geschildert hat, sowie Joachim Hofmann für die Genehmigung zum Einbetten seines Videos.
Weitere Quellen: Die Angaben zur Operation „Venerable“ wurden dem „EIGTH AIRFORCE TACTICAL MISSION REPORT 14 April 1945 FIELD ORDER NO.1972 OPERATION NO. 948“ vom 25. September 1945 entnommen. Alle genannten Einsatzberichte wurden zur öffentlichen Verwendung freigegeben durch die National Security Agency (NSA) United States of America
Stand dieser Seite: 28. Dezember 2022