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Reenactment


(Reenactment: engl. “Wiederaufführung”) Bei dieser Art der Freizeitgestaltung handelt es sich um die Nachstellung geschichtlicher Epochen, Ereignisse und Lebensarten. Wie so oft ist dieser Trend aus dem englischsprachigen Raum nach Deutschland geschwappt und findet hier etwa seit den 1970er Jahren eine kontinuierlich steigende Zahl von Anhängern.

 

Die eigentliche zeitliche Epoche, die dargestellt wird, ist dabei nicht festgelegt. Daher gibt es eine Vielzahl von Gruppen und Einzelpersonen, die das Leben in der Steinzeit verkörpern, andere  fühlen sich im Mittelalter wohl, weitere haben sich dem Leben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschrieben.

 

Die meisten Reenactor eint eine gewisse emotionale Verbindung zu der von ihnen dargestellten Epoche. Dabei kann es sich beispielsweise um eine nicht näher definierte Form der Romantik handeln oder auch nur um den Versuch, unserer heutigen Zeit für einen kurzen Moment völlig zu entfliehen. Wichtig ist: Reenactment beeinhaltet keine politische Aussage, auch wenn das hin- und wieder gerne so aufgefasst wird.

 

Wer Reenactment machen möchte stellt schnell fest, dass es sich keineswegs um ein billiges Hobby handelt. Je nach dargestellter Epoche gibt es nur wenige und dann oft sehr teure Kleidungsstücke, Gewänder, Hüte, Helme und Uniformen. In Abhängigkeit vom  eigenen Anspruch lassen sich diese Dinge auch als Einzelauftrag anfertigen, der Preis von rund 600.-€ für eine Uniformjacke stellt eher den Anfang, als das Ende der Fahnenstange dar.

 

Zur Minimierung der Einsatzkosten lernen ausgewachsene Männer dann plötzlich, mit einer Nähmaschine umzugehen, um sich das erste Leinenhemd selbst zu schneidern. Das Erreichen dieses Zustands ist bereits gefährlich, führt dies doch zu der unvermeidbaren Diskussion mit der Ehegattin, die eigenen Socken zukünftig selbst zu stopfen.

 

Viele Reenactor geben sich übrigens nicht mit maschinengenähter Bekleidung zufrieden. Sie verbringen die dunklen Winterabende mit Nadel und Faden, mit Nähen und Schneidern - natürlich alles per Hand, weil nur dies dem Original wirklich nahe kommt. Und um es gleich zu sagen: was einige von diesen Leuten da produzieren, schlägt Ware von der Stange um Längen und übertrifft selbst die viel beschworene „Museumsqualität“ bei Weitem.

 

Zusätzlich zu der zeitgerechten Bekleidung wird die Anschaffung passender Ausrüstung notwendig. Wiederum in Abhängigkeit von der Epoche und der Funktion der dargestellten Figur werden weitere Zukäufe erforderlich. Wer sich  mit der Darstellung im Bereich des amerikanischen „Revolutionary War“  bewegt, hat selbstverständlich für korrekte Zivilbekleidung, Uniformen, Ausrüstung und Bewaffnung zu sorgen.

 

Die meisten Ausrüstungsgegenstände (Zelte, Beile, Eimer, Geschirr, usw.) lassen sich für einen akzeptablen Preis – neu oder gebraucht - über das Internet bestellen, vielfach findet der Umsatz aber auch durch spezialisierte Händler bei entsprechenden Veranstaltungen statt.

 

Für die Steinschlosswaffen des 18. Jahrhunderts hat sich seit vielen Jahren ein europäischer Markt etabliert, der eine breite Palette an originalgetreuen Replika-Waffen anbietet. Marktführer dürfte der italienische Hersteller Pedersoli sein, der Waffen in vergleichsweise guter Qualität und Originalität fertigt.

 

 

Um es deutlich zu sagen: es handelt sich dabei um echte und voll funktionsfähige Schusswaffen, die in gewissem Umfang dem Bundeswaffengesetz unterliegen. Sie sind in der Regel erlaubnisfrei ab 18 Jahren zu erwerben und dürfen auch in der Öffentlichkeit geführt werden. Der Gesetzgeber macht dabei erstaunlicherweise keine Vorschriften, ob die Waffe geladen oder ungeladen ist. Dies trifft jedoch nicht für Perkussionswaffen zu, deren Treibladungszündung mit einem Zündhütchen erfolgt (!).

 

Um mit historischen Waffen schießen zu können bedarf es einer Erlaubnis gem. § 27 Sprengstoffgesetz zum Erwerb von Jagdschwarzpulver oder sog. Schwarzpulverersatzstoffen. Auf diesem Weg hat der Gesetzgeber enge Kontrolle darüber, wer letztlich mit diesen Waffen schießt, denn die Erlaubnis wird nur nach intensiver Bedürfnis- und Sicherheitsüberprüfung (sog. „Unbedenklichkeitsbescheinigung“) erteilt. Des Weiteren ist ein entsprechender Fachkunde-Lehrgang mit anschließender Prüfung zur Erteilung der Erlaubnis erforderlich. Mit dem Waffenkauf ist es also nicht getan.

 

Gut betuchte Reenactor kaufen übrigens keine Replika-Waffen, sondern erstehen entsprechende Originale, die je nach Zustand mit mehreren tausend Euro zu Buche schlagen können. Dafür erwirbt man jedoch einen historisch wertvollen Gegenstand, der weiter an Wert gewinnt und vielleicht noch den Ur-Enkeln Freude macht.

 

Vor dem Kauf einer passenden Waffe sollte sich der Interessent in jedem Fall mit einer im angestrebten Zeitspektrum erfahrenen Person in Verbindung setzen und sich beraten lassen. Gleichgesinnte und Experten trifft man u.a. bei Facebook. Denn nichts ist unangenehmer, als sich in aller Öffentlichkeit als geflissentlich ahnungslos darzustellen.

 

Schillerndes Beispiel ist eine sich in der ZDF Sendung „Terra-X“ ständig wiederholende Filmsequenz, in der Reenactor das Aufeinandertreffen von Landsknechten in einer Schlacht des 30jährigen Krieges nachstellen. Jedem halbwegs geschichtlich bewanderten Betrachter fällt unmittelbar auf, dass einer der Landsknechte mit einem Hawken-Perkussionsgewehr antritt, das zeitlich in der Epoche der amerikanischen Pionierzeit, also etwa 200 Jahre später anzusiedeln ist. Knapp daneben ist eben auch vorbei.

 



Und damit kämen wir gleich zu einem eher unangenehmen Thema: die Darstellungsqualität. Leider bürgert es sich mehr und mehr ein, dass Gruppen oder Einzelpersonen „ein bisschen Reenactment“ machen wollen, was gelegentlich ihre Authentizität in Zweifel stellt. Da treten „Landsknechte des 30jährigen Krieges“ öffentlich mit Armbanduhren, Adidas-Turnschuhen und Gleitsichtbrillen auf. Dem heutigen Zeitgeist geschuldet entdeckt auch die Damenwelt neuerdings ihre Zuneigung zum Tragen von militärischen Uniformen des 18. Jahrhunderts.

 

Das mag dem ausgeglichenen, genderkonformen Miteinander in entsprechenden Gruppen durchaus zuträglich sein, man sollte sich aber dessen bewusst sein: es gab keine Soldatinnen im 18. Jahrhundert. Die Rolle der Frau war damals eine völlig andere. Viele weibliche Reenactor wissen dies und verkörpern authentische, bewundernswerte Darstellungen mit überaus großem Engagement. 

 

Und der Vollständigkeit halber: selbst im 30jährigen Krieg gab es keine Gleitsichtbrillen, sonst wäre Gustav II. Adolf von Schweden in seiner letzten Schlacht bei Lützen vermutlich nicht seiner eigenen Kurzsichtigkeit tödlich zum Opfer gefallen. 

 

Angemerkt sei noch, dass es Veranstalter gibt, die Quarzuhrträger u.ä. auffordern, diese vor Ort abzunehmen oder die Teilnehmer spätestens nach der dritten, erfolglosen Ansage mit entsprechenden Konsequenzen konfrontieren. Selbst Zelte werden dort - zumindest im von außen einsehbaren Bereich - auf historisch korrekte Innenausstattung in Augenschein genommen. Das mag pedantisch klingen, es ist aber letztlich Sache des Veranstalters,  die Teilnahmebedingungen festzulegen. 

 

 

Die kann man akzeptieren - oder es lassen. Nebenbei bemerkt: meine Haar- und Barttracht entspricht auch nicht den Vorgaben, daher wurde mir schon mehrfach angeboten, mir die Selbe im Rahmen einer Aufführung epochenkonform abzunehmen. Das allerdings überschreitet selbst meine Grenzen.

 

Ein weiteres eher unangenehmes Thema ist die öffentliche Bewertung von Reenactment-Veranstaltungen. Beispiel: die „Zeitreise in das 18. Jahrhundert“, jährlich im August ausgerichtet in Eichenzell bei Fulda durch die Gesellschaft für Hessische Militär- und Zivilgeschichte. Höhepunkt jedes Jahr ist die Darstellung einer historischen Schlacht (samstags und sonntags) aus der Zeit des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. Bei passendem Wetter strömen mehrere tausend Besucher zu der Veranstaltung, die auf Plakaten, in Fernseh- und Presseberichten auf die erhebliche Lautstärke der Kanonen- und Gewehrschüsse im Rahmen der Schlachtdarstellung hinweisen.

Bild oben: Landgraf Friedrich II. von Hessen-Cassel bittet zu Tisch. Hier ähnelt sogar der Körperbau des Darstellers dem des Originals


Spätestens an dieser Stelle sollte dem potentiellen Besucher auffallen, dass es sich nicht um eine Tanzveranstaltung der örtlichen Walldorfschule handelt. Dennoch schaffen es vereinzelte Individuen immer wieder, ihre Eintrittskarte zu lösen und das “Gefechtsfeld” aufzusuchen, um sich im Anschluss von einem Reporter der Hessenschau zu ihren Eindrücken befragen zu lassen.

 

Die Kommentare, die da veröffentlicht werden lassen die Darsteller bisweilen mit erheblicher Ratlosigkeit zurück. Klar ist, jeder kann denken, was er will. Aber warum, um Himmelswillen, fährt jemand bei schönstem Wetter nach Eichenzell, läuft kilometerweit vom Parkplatz zum Schlossgelände, zahlt 8 Euro Eintritt, steht ggf. ca. 1,5 Stunden in praller Sonne, um dann festzustellen, dass die Welt voller Kriege und somit diese Veranstaltung unnötig wie ein Kropf sei?

 


Dieser Hinweis sei erlaubt: bitte nächstes Jahr zu Hause bleiben! Die Akteure erhalten für die Darstellung weder eine Gage, noch Fahrtkosten, noch die Kosten für die Ausrüstung oder das Schwarzpulver ersetzt. Die Anreise erfolgt europaweit, die Pulverkosten für die Geschütze sind kaum noch zu finanzieren, da hier kommerzielles Schwarzpulver im hohen Kilobereich zu verwenden ist.

 

Wenn die Gäste wegfahren, fangen die Darsteller an, Gewehre und Geschütze zu putzen und die Ausrüstung zu reparieren – erst dann kommt der gemütliche Teil. Und bei 35° im Schatten eine Wolluniform zu tragen, um der Allgemeinheit ein Verständnis für europäisch-amerikanische Weltgeschichte zu vermitteln, ist nicht immer nur pures Vergnügen.

 

Zugegeben, Reenactment ist nicht jedermanns Sache, und das ist auch gut so. Anstrengend wird es jedoch, wenn sich Weltverbesserer gewisser politischer Orientierung berufen sehen, Reenactor zu „therapieren“. So geschehen beispielsweise beim  Feldmanöver 2017 auf Schloss Eisenbach bei Lauterbach, das jährlich im Juni stattfindet.

 

In die sich gerade entspinnende Gefechtsdarstellung zwischen amerikanischen Milizen, Loyalisten und Angehörigen der neu-amerikanischen Kontinentalarmee mischte sich eine entschieden durch das hohe Gras heranstapfende, grauhaarig-lockige Dame im gefälligen Strickwerk, die sogleich in der Personifizierung eines wallenden Friedensengels jedwede Aufmerksamkeit auf sich zog.

 

Lautstark schimpfend wie ein Rohrspatz pflegte sie die Darsteller auf deren moralische Verwerflichkeit hinzuweisen, da man sich erdreiste, hier “Krieg zu spielen”, während in „Kobane geschossen würde“. Zudem fühle man sich durch die Knallgeräusche erheblich gestört, da man (frau) jetzt sein (ihr) wohlverdientes Wochenende genieße - was wohl der eigentliche Grund ihres Auftritts war. Im Übrigen müsse das doch alles illegal sein.

 

 

In der sich nun entspinnenden zwanzigminütigen Diskussion ließ sich die Dame weder durch die Genehmigungsschreiben des zuständigen Ordnungsamtes, noch durch die Erlaubnis des Schlossbesitzers oder des Liegenschaftsverwalters besänftigen. Auch die Erkenntnis, dass in Syrien nur in bestimmten Gebieten geschossen werde, während man in anderen Landesteilen in Nachtclubs Parties feiere und Alkohol in Strömen flösse, konnte keine milde Toleranz erzeugen. Schließlich trägt der Deutsche bekanntermaßen von Kindesbeinen an Schuld, ist zur Unterwürfigkeit verpflichtet und durch den Akt der Geburt quasi verantwortlich für jedwedes Leid auf der Erde.

 

Die Einsicht, dass hier zwei unveränderliche Weltauffassungen aufeinander treffen, beendete die weitere Unterhaltung schließlich. Von einem gewissen Konsens war jedenfalls nichts zu spüren. Schade eigentlich, wenn Toleranz und Vielfalt immer nur für die “Guten“ gilt, und mittlerweise traditionell als Einbahnstraße verstanden wird. Und schade auch, wenn sich das heutige Deutsche Geschichtsbewusstsein in der Bevölkerung  - wenn überhaupt - alleine auf die Jahre 1933  bis 1945 beschränkt. “Toleranz” heißt übrigens nicht, dass man etwas gut finden muss. Das nämlich wäre vielleicht eher positive “Akzeptanz”, und die verlangen wir niemandem ab, der mit diesem Hobby nichts anfangen kann.

 

Nebenbei bemerkt, im Jahr zuvor war der Anlass für einen ähnlichen Auftritt, dass einer der Reenactor seine Ausrüstung versehentlich auf dem Grab einer kurz zuvor ungenehmigt im Schlosspark  beigesetzen Katze abgelegt hat. Auch bei dieser Gelegenheit sorgte eine „Schwester im Geiste“ für umfassende „Erheiterung“. Ein Grund lässt sich also immer finden, wenn etwas grundsätzlich stört. Wer sich aber davon abschrecken lässt, ist letzten Endes selbst schuld.


Video unten: Nach der Winterpause will das Exerzieren geübt sein! Das Video wurde von mir angefertigt auf Schloss Eisenbach/Lauterbach April 2014