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Das Franzosengrab Homberg-Steindorf

Die Entwicklung der Menschheitsgeschichte ist von Krieg und Gewalt geprägt. Spätestens mit dem Zeitpunkt des Wechsels vom Nomadenleben zum Sesshaftwerden galt es Besitz, Eigentum und Nahrungsgrundlage gegen Widersacher und Mitstreiter zu verteidigen. Die Opfer solcher teilweise überaus brutalen Konflikte fanden ihre letzte Ruhestätte dabei zumeist an jenen Orten, an denen sie getötet wurden, oft ohne beigesetzt zu werden.   

 

Heute bringen archäologische Grabungen immer wieder sterbliche Überreste aus allen geschichtlichen Epochen ans Tageslicht. Die ungefähre zeitliche Bestimmung und regionale Abstammung kann dabei durch Beifunde (Waffen, Münzen, Keramik, Ausrüstungsgegenstände) und der Strontiumisotopenanalyse  von Knochen und Zähnen erfolgen, zumeist bleibt der Tote jedoch namentlich anonym.     

 

Um diesen Umstand wenigstens im militärischen Bereich Abhilfe zu schaffen, führte Kaiser  Wilhelm I. 1870 zu Beginn des Deutsch-Französischen Krieges in Deutschland die Erkennungsmarke ein, die eine Identifizierung eines gefallenen Soldaten auch nach vielen Jahren zuließ. Mehr als einhundert Jahre zuvor im Siebenjährigen Krieg (1756 – 63), der sich auch im Gebiet der Schwalm und den angrenzenden Bereichen abspielte, gab es diese Möglichkeit noch nicht. Die geschichtliche Rekonstruktion von Grabstätten aus dieser Zeit ist daher schwierig, was auch am Beispiel des sog. „Franzosengrabes“ deutlich wird:   

 

Das Grab liegt ca. 1000 m (Luftlinie) in süd-westlicher Richtung von Homberg-Steindorf entfernt. Es befindet sich im Wald in einer Distanz von etwa 100m zum nächsten Weg in leichter Hanglage, ohne erkennbaren Bezug zu anderen Denkmälern oder Bauwerken. Wer in dem Grab liegt, ist nicht abschließend geklärt, doch es findet in verschiedenen Schriftquellen Erwähnung.     

 
So steht sich im Kirchenbuch Hülsa folgender Eintrag:     

„1772 s. 31. März starb vor Hülsa von Steindorf kommend ein nach dem Dr. Baumgarth wollender Soldat, der Angeb. Nach vom Heß. Grenadier Regiment, dessen Nahmen und Heymath bißhihn unbekannt und wurde eodem auf Ordre des mit dem französ. Regmt Royal – in Quartier in Hülsa gelegen, Hl Obristen Grafen von Sparr von der Gemeinde begraben.“ (Quelle: Kirchenbuch Hülsa 1733 bis 1773, Begräbnisbuch Nr. 772/1761)     

 

Diese Darstellung klingt noch relativ unverfänglich, handelt es sich demgemäß doch nur um einen einfachen Soldat, dem bei Hülsa der plötzliche Tod widerfahren ist. Mögliche Ursachen dafür gäbe es viele, angefangen von einem Unfall über Krankheiten, eine kriegerischen Akt, bis hin zu einer selbstmörderischen Verzweiflungstat. Doch wenngleich weder genauerer Ablauf, noch Name oder Herkunft des Toten überliefert sind, nehmen weitere Versionen des Geschehens eine eher kriminalistische Wendung. So heißt es in Bezug auf den Siebenjährigen Krieg und das Franzosengrab in anderer Quelle:     

 

 „[…] im Jahre 1762 erreichte das kriegerische Geschehen auch unsere unmittelbare Nachbarschaft. Gegen Ende des Krieges hielten die mit Österreich verbündeten Franzosen die Festung Cassel besetzt. Doch nach einem für die Preußen erfolgreichen Gefecht bei Schloß Wilhelmstal im Juni 1762 wurde Cassel erobert, und die verbündeten englischen und preußischen Truppen rückten über Eder und Schwalm zur oberen Lahn vor.     

 

Ein französischer Soldat, der die Regimentskasse mitschleppte, versuchte sich allein durchzuschlagen. Er war jedoch auf seinem Wege oberhalb des Rinnetals am Allmuthshäuser Berg gesehen und im Walde unweit des Hülsaer Silberberges erschlagen worden. Das an dieser Stelle errichtete „Franzosengrab“ erinnert an die Untat. Man munkelt, daß die Beute den Tätern den Ankauf des Interessentenwaldes ermöglicht habe.“ (Quelle: Jakob Maikranz / Horst Gunkel: „Mein Dörflein am Knüll.  Eine Ortsgeschichte von Ober- und Niederhülsa“, Seite 32, Schwalmstadt 1998).     

 

Nach dieser Darstellung könnte angenommen werden, der Soldat habe zunächst die Regimentskasse gestohlen und sei damit auf der Flucht gewesen, bis ihn örtliche Raubeine im Wald abfingen, ihn erschlugen und ihm schließlich aus seinen toten Händen die Regimentskasse entrissen.     

Mehr Dynamik bekommt die Geschichte, wenn sie gleich in eine andere Zeit transferiert und der Anteil der Opfer erhöht  wird. So schreibt Lehrer Wilhelm Freitag 1925 in der Lenderscheider Schulchronik:     

„Nachdem Napoleon Bonaparte 1812 in Russland geschlagen worden war, kehrte der Rest seiner Truppen durch Deutschland zurück. Ein kleiner Teil der zurückkehrenden Franzosen kam durch Lenderscheid. Diese führten den Rest der Kriegskasse mit sich. Sie zogen durch die Wälder hinauf bis in die Nähe Steindorfs.      

 

Dort wurden sie im nahen Walde von den Steindorfer Bauern erschlagen. Das Geld ihrer Kasse, meistens Silber, nahmen die Steindorfer und kauften einen schönen, großen Buchenwald, den Silberberg. Die erschlagenen Franzosen wurden in der Dornshecke, dem angrenzenden Buchenwald, begraben. Noch heute sieht man dort eine grabähnliche Stelle (mit Steinen eingefaßt) mit einem Holzkreuz, darauf geschrieben steht: „Franzosengrab“.“  (Quelle: Wilhelm Freitag in „Lenderscheider Dorfgeschichte(n) 1197 – 1997“, Seite 302,  Frielendorf 1997)     

 

In etwa dieselbe zeitliche Epoche fällt folgende Darstellung (obgleich der Soldat hier bereits zu einem Offizier aufgestiegen ist):     

In der Nähe liegt Steindorf (72 Einwohner) mit dem holzreichen Silberberg. In demselben steht ein Kreuz, das nebst einem Hügel, dem „Franzosengrab“, an einen hier in den Freiheitskriegen erschlagenen französischen Offizier erinnert; bis zum Jahre 1840 kamen alljährlich, wie alte Leute bezeugen konnten, Franzosen zu diesem Grabe, um Kränze und  andere Gedenkzeichen der Liebe niederzulegen.“ (Quelle: Wilhelm Vesper „Der Kreis Homberg, Heimatbuch für jung und  alt“, Seite 68, Marburg 1908)     


Welche der hier aufgeführten Darstellungen der Wahrheit am nächsten kommt, bleibt - wie so oft - abschließend ungewiss. Unsicher ist auch, ob der zu Beginn zitierte Eintrag im Hülsaer Kirchenbuch tatsächlich in Verbindung zu dem hier bezeichneten Franzosengrab steht, zumal die Angabe 1772 - im Gegensatz zu der Kreuzinschrift - nicht in das Bild des Siebenjährigen Krieges passt, was allerdings auch ein Übertragungsfehler sein könnte. Es erscheint jedoch fragwürdig, warum ein Soldat, der vor Hülsa (von Steindorf kommend) verstirbt, anschließend abgelegen im Wald am Silberberg beigesetzt wird.     

 

Dennoch, das einsame Kreuz im Wald birgt den Stoff, aus dem Legenden entstehen. Dabei gerät die (unbekannte) Wahrheit mehr und mehr in den  Hintergrund, wie die hier genannten Versionen der angeblichen Geschehnisse zeigen. Wie dem auch sei: fest steht, dass das heute noch an der Grabstelle befindliche Holzkreuz vor mehr als 60 Jahren vom Homberger  Wanderverein errichtet wurde, nachdem das alte Kreuz der Verwitterung zum Opfer gefallen ist. Am 10. Juni 1956 erfolge die feierliche Einweihung im Beisein einer Abordnung der französischen Streitkräfte. Zur letzten Erneuerung kam es im Jahr 2002 (vgl. u.a. „Knüllführer, bearbeitet von Rudolf Pohl, Seite 87, Homberg 1974).  Bild oben: Einsam im Wald gelegen - das Franzosengrab  bei Homberg-Steindorf 

 

 

     

 

Koordinaten:  50°57'16.04" N    9°25'9.57" E                           Karte   (Openstreetmap)                                

 

 

Anfahrt:

Aus Schwalmstadt die B254 in Richtung Homberg/Efze fahren. Im Ortsteil Lützelwig rechts auf die L3384 einbiegen. Die Orte Sondheim, Rodemann und Allmuthshausen durchqueren, danach folgt Steindorf. Im Ort rechts auf die Silberbergstraße einbiegen und ihr durch den Ort folgen. Das Dorf auf diesem Weg verlassen. Nach ca. 150m gabelt sich der asphaltierte Wirtschaftsweg, hier rechts halten und bergauf bis zum Waldrand fahren, dort parken. Den Wald betreten und dem Schotterweg rechts folgen.     


Er zieht sich in einer langgezogenen Linkskurve bergauf. Oben auf der Kuppe an der Wegeinmündung rechts in den Waldweg abbiegen. Nach etwa 100 m ist links am Wegrand ein Hinweisschild auf das Franzosengrab zu sehen, zudem wurde an einer Buche ein Gedicht als Schild angebracht. Hier den Weg verlassen und dem Wegweiser etwa 100 m in den Wald folgen. Dort befindet sich das Grab mit einem gut sichtbaren Kreuz. Dauer des Fußweges vom Abstellplatz des Autos zum Franzosengrab (je nach Kondition) 10 bis 20 Minuten.     

 

 

Anmerkung:  

Die für diesen Artikel erforderliche Recherche und Zusammenstellung von Textquellen wurde von Herrn Eckhard Preuschhof, Heimatkundliches Archiv Homberg GbR geleistet, dem ich für seine intensiven Bemühungen sehr herzlich danken möchte