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Bomben treffen Allendorf

Blick auf Allendorf/Landsburg. Foto: Oliver Deisenroth CC BY-SA 3.0


Das Gelände des ehemaligen Einsatzflugplatzes Ziegenhain grenzt westlich an Allendorf. In der Auswertung des Einsatzberichtes der US AIRFORCE zum Luftangriff vom 24. März 1945 findet der Ort jedoch keine Erwähnung.  

 

An diesen Tag kann sich Georg Rockensüß gut erinnern. Obwohl er damals gerade mal fünf Jahre alte gewesen sei, habe sich das Ereignis tief in sein Gedächtnis eingebrannt, berichtet er. Das Haus der Familie Rockensüß   - erworben um 1850 -  war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die örtliche Revierförsterei. Bereits im Jahr 1875 wurde der Betrieb als Gaststätte aufgenommen, die bis heute existiert.

 

Zu dem Gasthaus gehörte auch der sogenannte „Kirmessaal“, der ursprünglich für größere Feierlichkeiten der Dorfgemeinschaft genutzt worden war. Mit dem Fortschreiten des 2. Weltkriegs wurden hier jedoch mehr als 20 französische Fremdarbeiter untergebracht, die auf den Bauernhöfen der Umgebung landwirtschaftliche Zwangsarbeit zu leisten hatten.

 

Georg Rockensüß (Anm.: verstorben am 29.3.2023) erinnert sich gerne an die Franzosen. Sie seien zu ihm sehr freundlich gewesen, hätten abends gelegentlich musiziert und die in den Schwalmwiesen gesammelten Weinbergschnecken zubereitet. Mit kindlicher Neugier habe er die Schnecken gerne probiert, seine Mutter konnte sich dafür jedoch keineswegs begeistern. Die Fenster des Saales seien vergittert gewesen, und die Franzosen hätten auf Stroh geschlafen. Unter dem Saal befand sich auch der Viehstall, zudem sei ein Luftschutzraum im Haus gewesen.

 

An dem sonnigen und frühlingshaft warmen Spätnachmittag des 24. März 1945  war der Himmel erfüllt mit dem Donnern und Grollen von schweren Flugzeugmotoren. Ältere Dorfbewohner rieten dazu, vor den in 3er Gruppen anfliegenden Bombern Deckung im Luftschutzraum zu suchen, und so versammelten sich einige Menschen darin. Deutlich waren hier die ersten Detonationen der Sprengbomben zu hören, es folgte eine Unzahl von Explosionen.

 

Im Verlauf des nun laufenden Luftangriffs auf das Gelände des Einsatzflugplatzes wurden auch Teile von Allendorf/Landsburg getroffen. Der Bauernhof „Heidecke 12“ wurde durch einen Volltreffer völlig zerstört. Die Bäuerin (Frau Vogel) habe sich rechtzeitig in Sicherheit bringen können, allerdings sei der Trümmerbereich mit Teilen von zerrissenen Tierkadavern übersät gewesen. 


Auch das Haus der Familie Rockensüß hatte zu leiden: der Kirmessaal wurde schwer getroffen, weil eine Bombe auf die davor befindliche Treppe fiel und explodierte; eine weitere Bombe sei auf die Brandmauer (Hausrückseite) gefallen und dort zur Detonation gekommen. Die Fenstergitter des Kirmessaals wurden dabei heraus gesprengt und landeten auf einer Wiese in Richtung der Schwalm.


Georg Rockensüß (links) berichtet, die Luft sei nach der Explosion der beiden einschlagenden Bomben mit einem bläulichen Dunst erfüllt gewesen, und es habe sehr eigenartig gerochen. Wie durch ein Wunder habe es hier keine Toten gegeben. Durch die herabstürzenden Trümmer sei der Ausgang des Luftschutzraumes versperrt gewesen. Er musste nach dem Ende des Luftangriffes von innen freigeräumt werden. Das Wohnhaus hielt dem Angriff stand, wenngleich auch mit schweren Beschädigungen. Zumindest die Gefache des alten Hauses hatten die Explosionen überstanden.

 

Wie sich dann herausgestellt habe, wurde eine Frau außerhalb des Schutzraumes von umstürzenden Trümmern getroffen. Sie verstarb etwa 14 Tage danach an den Folgen ihrer schweren Verletzungen. Andere hatten mehr Glück: „Meine Oma saß mit einer Bekannten vor dem Backhaus und wartete, dass der Kuchen fertig wird“, erzählt Herr Rockensüß. Die beiden hatten den Angriff  dort verbracht und seien wie durch ein Wunder unversehrt nach Hause gekommen.

 


Nach dem Angriff 

Als nach einigen Tagen der Schrecken des Bombardements nachgelassen hatten, trieb die Neugier die Allendörfer Jungen zum Einsatzflugplatz. Mit dabei war auch Georg Rockensüß: „Das Gebiet war übersät von Bombenkratern. Überall lagen kleine Propeller herum, die wahrscheinlich von den Bombenzündern stammten“, erzählt er. 


Zudem fanden die Kinder viele Blindgänger und Munition, die wild verstreut umher lag. Seine Mutter sei sehr verärgert gewesen, dass er dort hingegangen sei. Selbst rechts vor der Bahnunterführung an der Landstraße nach Dittershausen lagen zwei Blindgänger. Später sei einem Kind beim Hantieren mit Fundmunition die Hand abgerissen  worden.  (Bild links: Georg Rockensüß)

 

Über Opfer unter den Soldaten auf dem Einsatzflugplatz ist auch Georg Rockensüß nichts bekannt. Nur vier beschädigte Flugzeuge hätten noch auf dem Gelände gestanden, in die sie als Kinder gerne hineingeklettert sind. Die Bunkeranlagen des Flugplatzes seien weitgehend unversehrt gewesen, lediglich ein Bunker sei mäßig beschädigt worden.

 

Als am Karfreitag 1945 die Amerikaner in die Schwalm einrückten, änderte sich die Lage grundlegend. Zunächst hielt eine Panzerabteilung außerhalb von Allendorf und forderte die Dorfbewohner auf, weiße Fahnen und Bettlaken als Zeichen der Kapitulation aus den Fenstern zu hängen. Insbesondere die französischen Fremdarbeiter waren überaus erleichtert über das Eintreffen der Amerikaner. Sie versorgten die in das Dorf einrückenden Panzerbesatzungen mit Apfelsaftflaschen.

 

Für einige Bauern, die ihre Fremdarbeiter während der zurückliegenden Zeit schlecht behandelt hatten, wendete sich das Blatt dramatisch. Sie bekamen zu spüren, dass es am Ende des Krieges nicht zwingend erforderlich war, einen Auftrag an den Dorfschneider zu erteilen, um in den Genuss einer „ordentliche Tracht“ zu kommen...

 

Auf dem Flugplatz lag neben Munition, Blindgängern und Flugzeugwracks auch viel Einsatzmaterial verstreut. Drei große Tankbehälter aus emailliertem Eisen wurden von Dorfbewohnern zerschnitten und weiterverwendet. Wie in Leimsfeld fanden auch in Allendorf die Aluminium-Zusatztanks der deutschen Jagdflugzeuge gerne weiteren Gebrauch: ein „Interessent“ baute sich daraus ein Doppelrumpfboot (Katamaran), mit dem er auf der Allendörfer Schwalm umher schipperte.

 

Zur Diebstahlprävention  erfolgte allabendlich die Versenkung des Bootes im Fluss, anschließend wurde es an einem Seil unter Wasser aus dem „Wahrnehmungsbereich der Allgemeinheit“ geschleppt. Wie das Schicksal so spielte, kam der Bootsbauer bei dem Versuch, auf der benachbarten Gleisanlage einen fahrenden Zug zu besteigen, ums Leben. Sein Katamaran dürfte demnach noch immer im Flussbett der Schwalm liegen und auf ein erneutes Wiederauftauchen warten.

 

Entgegen anderweitiger Erzählungen weist Georg Rockensüß deutlich darauf hin, dass die Bunkeranlagen des Einsatzflugplatzes Ziegenhain nicht gesprengt worden seien. Ein späterer Beseitigungsversuch sei gescheitert, da der Abbruch bzw. eine Sprengung viel zu hohe Kosten verschlungen hätte. Vielmehr seien die Bunker auf Betreiben der US-Armee und der Bundeswehr in das Sondermunitionslager Rörshain integriert und durch den Bau zusätzlicher Bunker erweitert worden. Die formelle Auflösung dieses Lagerkomplexes erfolgte erst Anfang der 1990er Jahre, die Bunker als solche sind jedoch weiter existent.


Foto oben: amerikanische 250 Pfd. Bombe (MoserB/public domain)


Hessen 1945

                                                                                                   

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