Der Wolfstein (Gemünden/Wohra)
Die Gegenden von Schwalm, Kellerwald und Knüll mit ihren tiefen Wäldern waren seit jeher auch Heimat wildlebender Tiere. Wer die Presseberichte der heutigen Zeit verfolgt, liest immer wieder Artikel über die Rückkehr auch jener Arten, die in früherer Zeit erbarmungslos verfolgt wurden, wie beispielsweise Luchse und Wölfe.
Naturschützer und interessierte Bürger freuen sich heutzutage über jede Sichtung, jeden Pfotenabdruck und jedes unscharfe Bild von montierten Wildkameras gleichermaßen. Schafhalter dagegen weniger. Selten wird es dabei versäumt, auf die Arglosigkeit der putzigen Kreaturen hinzuweisen. Eine Gefahr für die Bevölkerung gehe von Wölfen und Luchsen nicht aus, sie seien äußerst scheu und schlimmstenfalls “wollen die nur jagen oder spielen”...
Natürlich muss in der heutigen Zeit niemand Angst haben, beim Sonntagsspaziergang angefallen zu werden, dazu ist unsere Siedlungsdichte und der starke Straßenverkehr für diese Tiere viel zu groß - oder vielleicht doch? Letztlich sollte man nicht ganz vergessen: es handelt sich bei Wölfen und Luchsen um Raubtiere, die im Einzelfall möglicherweise nicht nur Rehen, Schafen oder dem Rauhaardackel gefährlich werden könnten. Neuere Berichte über von jagenden Wölfen verursachte Massaker an Weidetieren sprechen eine deutlich andere Sprache.
Ähnlich sahen das auch unsere Vorfahren, die sich durch den Wolf offensichtlich regelrecht bedroht fühlten. Besonders in der Zeit nach dem 30jährigen Krieg nahm die Wolfspopulation in Deutschland stark zu. Die Bevölkerung war durch Gewalt, Hunger und Krankheit drastisch reduziert worden, Felder verwilderten und Dörfer waren zerstört und fielen wüst. In Folge dessen fanden Wölfe günstigere Lebensbedingungen vor und breiteten sich aus.
Dementsprechend kam es zu Versuchen, den Wolf durch gezielte Bejagung zu dezimieren und letztendlich in unseren Breiten auszurotten. Bereits ab dem Jahr 1532 erlegte Landgraf Philipp von Hessen in der Schwalm 27 Wölfe. Um das Jahr 1600 beabsichtigte der Treysaer “Jägermeister”, die dortige Bürgerschaft für die Wolfsjagd zu verpflichten - allerdings hatte er nicht mit dem renitenten Widerstand derselben gerechnet. 1641 erlegte man im Knüll 18 Wölfe, die zuvor in Schwarzenborn Wachhunde totgebissen haben sollen.
Mit Wolfsgärten (einem verzweigten Palisadensystem) und Wolfsgruben versuchte man, der Lage Herr zu werden - mit finalem Erfolg, wie man heute weiß (Quelle: Bernhard von Strenge “Jagen in Schwalm und Knüll”, Seite 24, NEUMANN-NEUDAMM Verlag, Melsungen 2011). Eine interessante Webseite zur historischen Wolfsjagd findet sich hier.
Doch in einigen Fällen war vielleicht auch der Wolf der Sieger. An eine solche Begebenheit erinnert der Wolfstein bei Gemünden /Wohra. Der ziemlich unauffällige, stark verwitterte und heute unlesbare Gedenkstein (siehe Bild oben) an der alten Straße zwischen Gemünden und Wohratal berichtet von einer Begebenheit aus dem Jahr 1654:
“Molls Hausfraw aus Gemünden ward, indem sie auf Wohra gehen und daselbst Geschäfte verrichten wollen, von einem Wolff allhiero ahngefallen und fürchterlich zugericht. Durch wunderbare Reigierung Gottes von einem Reisende dem Wolff aus dem Rachen und in ihr Haus zu ihrem Mann und Kindern gebracht, daselbsten an guthem Verstandt in wahrer, glaubiger Ahnrufung Gottes unter vihlerley Schmerzen und Gebeth sanft und selig in Christo entschlafen, ihres Alters 54 Jar.“
Angeblich sollen Angriffe von Wölfen auf Menschen bis heute in keinem konkreten Fall wissenschaftlich nachweisbar sein. Möglicherweise hat sich dieses Ereignis auch ganz anders zugetragen und die Geschichte und der Stein dienten letztlich nur dazu, das hinterhältige Kapitalverbrechen des genannten Reisenden zu vertuschen. Aber das wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben.
Tipp: aktuelle Wolfssichtungen mit Foto- oder DNA-Nachweisen listet das Wolfszentrum Hessen des Hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie auf.
Lagekoordinaten: 50° 56’ 51” N 8° 57’ 20” E
Karte (Openstreetmap)
Anfahrt: von Gemünden/Wohra auf der L 3073 in südlicher Richtung bis zur Abzweigung der L 3342. Hier rechts in die alte Straße nach Wohra einbiegen (asphaltierter Wirtschaftsweg, mit zahlreichen Birken bepflanzt). Diesem Weg für ca. 300m folgen. Der niedrige Stein liegt links in einer Hecke und ist sehr leicht zu übersehen (auf hölzernes Hinweisschild an einer Birke achten!).