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Der Ziegenhainer Schützenwald - unterwegs zwischen Hügel- und Hünengräbern

Auch in unserer Heimat gibt es keine Stadt, kein Dorf und keine Feldflur ohne Zeugnisse der Jahrtausende alten menschlichen Siedlungsgeschichte. Viele archäologische Fundstellen sind dabei wissenschaftlich gut dokumentiert, andere schlummern noch im Verborgenen und warten auf ihre Entdeckung und fachkundige Entschlüsselung.   

 

Doch die Zeit drängt: durch die fortschreitende Kultivierung, Bodenbearbeitung und insbesondere Bebauung noch ungenutzter Flächen geraten bisher unbekannte Bodendenkmäler zunehmend in Gefahr. Vielfache archäologische Rettungsgrabungen versuchen heute unter hohem Zeitdruck, das Nötigste zu sichern, bevor Asphalt und Zement den Befund für lange Zeit zudecken oder für immer zerstören.    

 

Umso wichtiger erscheint es, die Spuren unserer Vergangenheit aufmerksam wahrzunehmen, so lange dies noch möglich ist. Dazu gibt es vielfältige Möglichkeiten. Besonders die Wälder von Schwalm, Kellerwald und Knüll weisen viele stein-, eisen- und bronzezeitliche Bodendenkmäler auf. Hierzu zählen auch die zahlreichen Hügelgräber, die heute weitestgehend nur noch in Waldgebieten erhalten sind. Zwar gab es diese Grabmale früher in bemerkenswerter Zahl auch in den Feldfluren, allerdings sind sie überwiegend der maschinellen Bodenbearbeitung zum Opfer gefallen. In den Waldgebieten droht heute eher die Gefahr schwerer Forstmaschinen, allerdings lässt sich in der Forstwirtschaft zwischenzeitlich eine weit fortgeschrittene Sensibilisierung für den Schutz und Erhalt von Bodendenkmälern feststellen.    

 

 

Graburnen: von Zwergen gefertigt oder im Erdreich gewachsen?    

Das Interesse an den merkwürdigen Hügeln ist keineswegs ein neuzeitliches Phänomen. Auch vor knapp 500 Jahren wurde bereits gegraben, begutachtet und interpretiert. Funde von Bestattungsurnen verleiteten damals zuweilen zu abenteuerlichen, aber zeitgemäßen Thesen. So schrieb beispielsweise Sebastian Münster im Jahr 1544 in seiner weit verbreiteten “Cosmographia” hinsichtlich der Urnen, die Töpfe seien “gewachsen”. 1572 rätselte Leonhard Thurneysser zum Thurm (Leibarzt des Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg), ob die ausgegrabenen Urnen von Menschen oder vielleicht doch eher von Zwergen gefertigt worden seien (vgl. Uta von Freeden / Siegmar von Schnurbein [Hrsg.]: “Spuren der Jahrtausende”, Theiss Verlag, Stuttgart 2002, Seite 12).    


Heute lässt sich dank der modernen Wissenschaft sowohl die Annahme der gewachsenen Töpfe, als auch der Fertigung durch Zwergenhand mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen. Schwierig, wenn nicht unmöglich ist dagegen die zeitliche Einordnung eines Grabhügels ohne ihn zu öffnen.  Bild rechts: “Cosmographia” von  Sebastian Münster,  1544 © gemeinfrei 

   

 

Alt, älter, am ältesten    

Die bisherigen Grabungsergebnisse beweisen: viele der Hügel stammen aus der sogenannten Hügelgräber-Bronzezeit (1700 - 1200 v. Chr.) oder aus der älteren Eisenzeit (800 bis 15 v. Chr,). Allerdings sind Grabhügel auch aus der Zeitspanne der späten Jungsteinzeit (5000 - 2000 v. Chr.) bis in das frühe   Mittelalter (300 - 700 n. Chr.) hinein bekannt. Eine eindeutige Zuordnung lässt sich also nur durch einen archäologischen Befund (z.B. Grabbeigaben) durchführen.    


Hügelgräber dienen in der Regel zunächst Einzelbestattungen. Dennoch kommt es im Verlauf der Jahrhunderte bzw. Jahrtausende auch zu verschiedenen Neben- oder Nachbestattungen, so dass ein Grabhügel heute Relikte aus verschiedenen Zeitepochen enthalten kann. Problem: wissenschaftlich bedeutsame Funde (Waffen, Gewandfibeln, Schmuck) innerhalb der Bestattungsanlagen sind zwar vereinzelt bekannt, treten aber offensichtlich eher selten auf, so dass eine regelhafte archäologische Öffnung nicht zu rechtfertigen ist.


Grundsätzlich ist es auch nicht Aufgabe der Archäologie, möglichst viele spektakuläre und materiell wertvolle Funde auszugraben, denn es handelt sich hierbei nicht um eine profitorientierte Schatzsuche. Darüber hinaus sind Grabhügeln nicht zuletzt auch menschliche Bestattungsplätze, die einen gewissen Respekt unabdingbar machen. Diese und andere Gründe verpflichten dazu, derartige Bodendenkmäler unberührt und damit in der zeitlich genauen Einordnung offen zu lassen.     


Beispielhafter Aufbau eines Hügelgrabes  


Die durchschnittliche Größe der Grabhügel liegt bei einem Durchmesser von etwa 10  Metern, viele sind erheblich kleiner (2 bis 3 Meter), einige erreichen mit ca. 20 Metern schon beinahe monumentale Ausmaße. Ein Großteil der Hügel sind mit einer Höhe von gerade 1 Meter wenig auffällig, doch es gibt deutlich höhere Exemplare (siehe Bilder unten).  


Wie auf meiner Grafik rechts dargestellt, können bronzezeitliche Hügelgräber über eine umlaufende Trockensteinmauer als Begrenzung verfügen, die ursprünglich an der Außenseite entlang lief. Gut zu erkennen ist sie bei dem freigelegten Hügelgrab von Wiera.   

 

 

Das Zentrum des Grabhügels ist Ort der Hauptbestattung, die in Form einer Körper- oder Brandbestattung vorgenommen wird. Hierzu kann ein Baumsarg oder eine Urne Verwendung finden. Über dem Sarg werden häufig Steinpackungen angelegt, die den eigentlichen Sarg oder die Urne umgeben. Im Laufe der Zeit können Hügelgräber zu weiteren Nachbestattungen genutzt werden, oft geschieht dies durch Hinzufügung von Graburnen, die unter einem Deckstein platziert werden. Besonders Urnengräber sind sehr empfindlich gegen Druckbelastung. Werden sie von  Land- oder Forstmaschinen überrollt, ist die darin befindliche Urne zumeist unwiederbringlich zerstört.  

 

Das wohl bekannteste Hügelgrab unserer Gegend ist die bereits genannte Anlage von zwei Gräbern bei Schwalmstadt- Wiera. Die dafür häufig verwendete Bezeichnung “Hünengrab” ist allerdings rein umgangssprachlicher Natur und hat keinen zeitlichen oder wissenschaftlichen Bezug. Der Name entspringt der früheren Vorstellung, dass unter den teilweise recht großen Hügeln “Hünen”, also Riesen oder sehr stattliche Menschen  begraben sind.  


 

Weitere Hügelgräber finden sich unter anderem im Waldgebiet am Kornberg zwischen Obergrenzebach und Spieskappel (Karte) sowie im Schützenwald nahe Schönborn (Karte). Besonders die Grabhügel des Schützenwaldes sind gut zu erreichen, da sich viele von ihnen direkt an gut begehbaren Waldwegen befinden.  


Der Schützenwald als solches ist ein beliebtes Naherholungsgebiet, das vor allem von Laufsportlern genutzt wird. In den zurückliegenden Jahren wurden zahlreiche Eichenstämme aus diesem Wald nach Frankreich exportiert, dort fanden sie als Reifefässer in der Cognac-Veredelung Verwendung. Schutzhütten laden im Schützenwald Wanderer und Spaziergänger zu einem Besuch und einer  Rast ein. Wer lieber kulinarisch auf seine Kosten kommen möchte, kann dies im idyllisch gelegenen Restaurant Ziegelhütte tun.  

 

 


Anfahrt zu den Hügelgräbern: von Schwalmstadt-Niedergrenzebach über die Kreisstraße K126 in Richtung Frielendorf-Schönborn. Nach der Einfahrt in den Wald (nach der langgezogenen Linkskurve) in den ersten befestigten Waldweg nach links einbiegen und hier das Fahrzeug abstellen. Ein Grabhügel ist bereits jetzt links des Weges im Wald zu erkennen. Im Waldgebiet verstreut  sind diverse große und kleinere Hügel zu finden.     


Koordinaten: 50° 55’ 27” N     9° 16’  51”  E              Karte  (Openstreetmap)


Quellen (soweit nicht anderweitig bezeichnet):  

Angaben über zeitliche Einordnung, Beschaffenheit, Aufbau und Nutzung von Hügelgräbern: Dr. Klaus Sippel und Ulrich Stiehl: “Archäologie im Wald”, Seite 14 ff., herausgegeben vom Landesbetrieb Hessen-Forst, Kassel 2005  


Bilder unten: von “groß” bis “kaum noch wahrnehmbar”: Hügelgräber im Schützenwald und eines von zwei Hügelgräber ("Hünengräber") bei Schwalmstadt-Wiera. Die Foto zeigen auch die Reste einer verfallenen Grabeingrenzung (Trockenmauer), die in Wiera rekonstruiert wurde.